Fotoprojekt - Begleittext
Ob man das Fotografieren während der Fahrt aus dem Fenster eines Automobils als Fotografieren im Sinne von Handwerkskunst bezeichnen kann, sei dahingestellt. Der Moment ist jedoch entscheidend. Das Vorbeihuschen. Das mit-dem-Augenwinkel-sehen. Gleichzeitig den Fahrer auf die riesigen Schlaglöcher aufmerksam machen. Mit den Geschwindigkeitsrezeptoren verschwommene Eindrücke erhaschen. Ohne eine Chance wirklich zu sehen. Selektives Diffusionssehen. In dieser Hinsicht die Kamera wirklich beneidend, die scheinbar in einem anderen Zeitkontinuum steckend in 250-zigstel Sekunden, manchmal in 500-steln scheinbar spielerisch die Umgebung begreift. Bei jeder Geschwindigkeit.
320 km rumänischer Landstraßen von Târgu Jiu bis Bukarest sind meist eine Reise durch eine andere Welt. Man sieht viele Pferdegespanne mit dem typischen hölzernen Langwagen. Mir kam während der Fahrt in den Sinn, dass ein Pferdegespann das Gegenteil des Internets sein muss. Ich hatte im Internet gelesen, dass nur 22 % der Rumänen einen Internetanschluss haben. Pferdegespanne werden mit unglaublicher Geschwindigkeit und Dreistigkeit von über-motorisierten Rumänen überholt. Ein Sinnbild der Moderne? Trotzdem reicht dir Rumänien die Hand. Man trifft bei jedem Halt und hinter jeder Türe, die man öffnet, auf Herzlichkeit, fühlt sich willkommen und angenommen. Der Hotelangestellte fragt am dritten Tag unserer Anwesenheit nach, warum wir so wenig frühstücken würden, ob er andere Sachen auftischen sollte, die uns mehr schmecken, ob wir zufrieden seien. Er machte sich Gedanken. Nie war mir das bisher auf meinen Reisen passiert. Nur meine Beteuerung, dass alles fantastisch sei und wir nur beim Frühstück so kurz angebunden seien, weil wir eigentlich auf dem Weg zur Arbeit sind, beruhigte ihn. Wahrscheinlich ging es ihm zuhause ebenso. Ich war geschäftlich in Rumänien und vorher noch nie dort. Warf Bukarest und Budapest heillos durcheinander, obwohl man sich das leicht merken kann am R (für Rumänien) in der Mitte von Buka-R-est. Bei der nächtlichen Ankunft in Bukarest, leichtes Entsetzen ob dieser durch riesige sechs-spurige Straßen und von riesigen Plätzen zerrissenen Stadt. Das Regierungsgebäude wäre größer als das Pentagon, las ich, was sich bei der Vorbeifahrt glauben ließ, angesichts dieses gigantischen Kant Maßes. Zu groß, um im Augenwinkel zu verschwimmen. Bukarest, die sechst größte Stadt Europas wirkte verschwommen in den Außenbezirken. Wurde unscharf, mit ehemals ansehnlichen Gebäuden, leeren Ruinen, deutschen Bau- und Supermarktketten und einem Gewirr von sich in die Stadt herein- und herausquetschenden Autos. Gehupt wird in Rumänien kaum. Obwohl für deutsche Augen ungeordnet, fährt der Rumäne meist gesittet. Kein italienisches Gehupe, kein Gefuchtel und kein den-Tod-an-den-Hals-Gefluche, kein französisches Geschiebe. Nein, Halten an der Ampel und braves Warten auf Grün. Freiwillig hält zwar niemand an einem Zebrastreifen, aber Ampeln, die eine Sekundenanzeige haben, damit man erkennt, wie lange es denn noch dauert, werden artig beachtet. Auf dem Land geht es dann richtig los und der Rumäne gibt Gas, wenn er denn etwas anderes als einen der unzähligen alten Dacias fährt. Es wird gerast. Auch in Wohngebieten sind 100 Sachen kein Problem. Es schrecken auch die unzähligen Kreuze am Straßenrand nicht. Wahrscheinlich werden diese bei der Geschwindigkeit zu undeutlich wahrgenommen und verlieren ihre mahnende Wirkung. Merkwürdig in der südlichen Walachei ist jegliches Fehlen von Ortskernen. Vielmehr erstrecken sich Orte an den Straßen entlang, kaum, dass es Stichstraßen gibt. Straße, Zaun, Haus, Feld. Moment, nicht zu vergessen: Straße, - Bank! -, Zaun, Haus, Feld. Das geht so über hunderte Kilometer, in denen die Orte nur von verrosteten Ortsschildern abgelöst werden. Kaum dass man ein imaginäres Zentrum durch eine kleine, bleich-beplankte Kirche erahnen kann. Kein Platz zum Verweilen. Keine Kreuzung, es geht immer weiter. Häuser, die wunderschön gepflegt sind, abgelöst durch irgendwie im Bau gestörte, verhinderte Häuser. Heruntergekommene, arme Häuser, manchmal mit ebensolchen Bewohnern. Straßenhändler mit Obst und Melonen. Kleine Pseudobars, die eiskaltes Flaschenbier verkaufen und wo man sich dann, wo auch sonst, auf die Bank an der Straße setzen kann. Kleine familienbetriebene Läden, die irgendwie immer „Alimentar“ im Namen führen, was wahrscheinlich -Artikel für den täglichen Bedarf meint und in Wirklichkeit nicht viel mehr als ein paar Tuben Shampoo und etwas Dosengemüse bedeutet.
Warum sitzt der Rumäne nur so gerne vor dem Haus an der Straße? Angesichts der Kolonnen von sich durch kleine Orte quälenden LKWs und rasenden SUVs an der Straße zu sitzen? Langeweile? Ein sozialer Trieb? Hinter dem Haus ist es wohl langweilig. Womöglich lauert Arbeit im Garten. Trotzdem, während bei uns zum Feierabend das geschmiedete Gartentor zweifach verschlossen wird, noch ein, zweimal prüfend an den Palisaden gerüttelt und der Wachhund von der Leine gelassen wird, das Anwesen zu verteidigen und sich unsere Sippen verschanzen im Garten hinter dem Haus. Dann ist bei uns geschlossen! Wir reduzieren uns auf uns selbst. Der Rumäne hingegen sitzt auf der Bank vor dem Haus, schaut dem Treiben zu und öffnet sich. Abends sieht man in Rumänien oft die ganze Familie vor dem Haus. Rumänien ist auf den Beinen. Hallo, hier bin ich! Das klappt ganz ohne Facebook. Die Computerstimme „Sie haben Post!“, würde hier unwirklich klingen und unnötig. Der Rumäne sieht, wenn er Post bekommt! Er sitzt ja direkt am Briefkasten! Wen wundert unsere soziale Verarmung? Bei mir vor dem Haus ist wenig los. Ich würde dort auf einer Bank sitzend ins Nichts starren, die Neugier der Nachbarn auf mich lenken, deren Namen ich nicht mal kenne. Würde zudem auch nur auf einen Parkplatz schauen, auf dem mein Auto steht. Kein besonders schönes Auto, nur meines eben.
Die Bilder zeigen mehr, als im ersten Eindruck erkennbar.
Sie erzählen oft eine kleine Geschichte.
In Summa bekommt man das Gefühl teilzunehmen.
Zu wissen.
Zu erkennen.
Es gibt kleine Details. Eine leere Bank. Der Boden ist an der Stelle ohne Gras. Hier sitzt sehr häufig jemand. Das Gartentor, das geöffnet ist. Gleich schaut bestimmt jemand hindurch. Die Bilder sind ein kleiner, privater Blick. Nicht allzu sehr, nicht voyeuristisch, man sieht nicht mehr, als man von der Straße eben sieht.
Rumänien hat an mir gerüttelt. Ich habe Menschen gesehen, die trotz ihrer widrigen Lebensumstände zufrieden aussahen, die mir einen kleinen Anstoß gegeben haben, was soll ich sagen? Mich mal auf eine Bank zu setzen, wenn mal eine da ist? Vielleicht Ruhe mehr zu genießen? Verdammt noch mal, auch gelegentlich zufrieden zu sein! Mein Anspruchsdenken zu überarbeiten? In Zukunft demütiger zu sein? Vielleicht öfter mal mit dem zufrieden zu sein, was gerade da ist, auch wenn es nur eine kleine, einfache, hölzerne Bank ist.
Fotogalerie
Fotoausstellung: 16.09. bis 27.09.2013 / Hauptsparkasse Krefeld /Ostwall 155 / 47798 Krefeld)